Vielleicht sollte sich auch unsere Gesellschaft im Allgemeinen verändern 😉
Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass ich anders bin. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, einfache tägliche Aufgaben fühlen sich oft schwierig und überwältigend an, und die Strukturierung meines Tages kann eine Herausforderung sein.
Andererseits, wenn mir etwas Spaß macht, wenn ich mich für etwas begeistere, oder wenn es mich herausfordert, sprühe ich vor Energie und Konzentration.
Ich arbeite sehr gründlich und mit großer Intensität an Projekten.
Kürzlich habe ich meine offizielle ADHS-Diagnose erhalten. Puh. Ich dachte, ich würde Erleichterung verspüren. Mir war klar, dass ich nicht neurotypisch bin, dennoch war es überraschend. Ich war überrascht von der Diagnose und der Eindeutigkeit und konnte es zunächst nicht glauben, obwohl ich es schon eine Weile wusste.
Ich war auch überrascht, wie emotional ich reagierte. Ich musste weinen. Ich war überfordert.
Einerseits bin ich stolz darauf, wie gut ich in der Vergangenheit zurecht gekommen bin und wie gut ich mich angepasst habe, um den sozialen Normen gerecht zu werden – Schule, Universität, meine Karriere und auch mein tägliches Leben.
Ich war tapfer, ich habe mir nicht eingestanden, wie schwierig und anstrengend manches für mich war.
Andererseits bin ich traurig. Das tägliche Leben war oft herausfordernd und überfordernd für mich und ich dachte, es sei normal so zu empfinden.
Ich war tapfer, ich habe ausgehalten und gedacht, dass dies für andere ebenso schwierig sei.
Ich bewunderte andere Menschen dafür, wie leicht sie ihre täglichen Aufgaben bewältigten.
Ich dachte, dass jeder so fühlte wie ich und dass ich nur fauler und sensibler sei als andere.
Also habe ich mich angestrengt mein Leben zu managen und fühlte mich oft schlecht, dass es mir nicht gelang. Jetzt weiß ich, es war wahrscheinlich schwieriger bzw. anders für mich im Vergleich zu neurologisch typischen Menschen. Ich musste viele Ressourcen und viel Disziplin einsetzen.
Zudem führte mein Interesse an vielen Dingen dazu, dass ich viele Dinge tat.
Gleichzeitig fühlte ich mich faul, weil es schwierig war, alltägliche Aufgaben zu erledigen.
Aber in Wirklichkeit habe ich viel getan – nur nicht die langweiligen Dinge, die erledigt werden mussten. Deshalb verstanden andere Menschen oft nicht, dass ich mich faul fühlte, denn sie dachten, dass ich sehr viele Dinge gleichzeitig jonglierte und sehr viel schaffte.
Das führte jedoch oft dazu, dass mein Gehirn mit Gedanken raste; ich fühlte mich gestresst und irgendwie ausgebrannt. Ich fühlte mich müde, aber ich habe es bewältigt.
Gleichzeitig konnte ich leicht ungeduldig werden, wenn andere Menschen nicht die gleiche Energie hatten. Wenn ich etwas tun möchte, wenn etwas aufregend ist oder mich inspiriert – wow – dann habe ich Energie. Ich bin diszipliniert! Ich bin schnell! Ich bin fokussiert! Manchmal zu schnell und zu energetisch für andere.
Ich bin froh darüber, dass ich frühzeitig Wege gefunden habe, damit umzugehen: Sport und Bewegung, Yoga, Meditation, Atemarbeit. Ich bin auch stolz darauf, dass mein Leben nie wirklich “normal” war. Schon von klein auf, lebte ich mein Leben eher unkonventionell – immer noch innerhalb gesellschaftlicher Grenzen. Und wenn ich ehrlich bin, mindestens die Hälfte meiner Familie ist neurodivergent 😂
Wie so oft, denke ich auch jetzt viel darüber nach.
Soll ich Medikamente nehmen, soll ich mich anpassen?
Ich dachte erst, das sei eine Lösung, um Erleichterung für mich zu schaffen.
Vielleicht gibt es aber gar keinen Bedarf mich zu ändern oder mich an gesellschaftliche Standards anzupassen?
Vielleicht passt es besser zu mir ein wenig unkonventionell zu sein, weil unsere Arbeits- und Lebensweise nicht unbedingt für jeden passt?
Vielleicht ist eine Änderung meines Lebensstils eine Option?
Vielleicht ist es nicht notwendig, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, hauptsächlich im Sitzen? (Das mach ich sowieso nicht 😉)
Vielleicht kann es auch manchmal vorteilhaft sein, außerhalb der Box zu denken?
Vielleicht kann es funktionieren, viele Dinge gleichzeitig tun, und diese nicht zu beenden? Vielleicht kann es funktionieren, mehr von den Dingen zu tun, die mich inspirieren und weniger von denen, die es nicht tun, und die ich nicht gut kann, weil ich mich nicht konzentrieren kann?
Vielleicht könnte ein Umzug an einen Ort ohne so viele Ablenkungen helfen?
Vielleicht sollte ich ein Leben schaffen, das meinem Gehirn entspricht, anstatt mein Verhalten anzupassen und mein Gehirn in Strukturen zu zwingen, die (für mich) unnatürlich sind?
Natürlich können wir selbst Veränderung herbeiführen. Indem wir uns ändern, verändert sich auch die Welt um uns herum. Meist liegt die Veränderung bei uns selbst. Aber manchmal können wir auch die Umstände ändern anstatt uns selbst zu ändern.
Ich meine damit nicht zu versuchen, andere Menschen zu ändern, sondern mein kleines Universum zu verändern.
Wer weiß? Das könnte weitreichende Auswirkungen haben.
Veränderung ist meistens gut.
Veränderung ist natürlich!